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Objekt und Information. Serielle Strategien in der Infoproduktion

26.03.06

in: Serialize. Die Gestalten Verlag 2006

in: Serialize. Die Gestalten Verlag 2006

Die Serie als Information

Eine Serie überschreibt ihre einzelnen Objekte mit zusätzlicher Information. Sie konstituiert sich als eine Reihe von Elementen, die sich in bestimmten Merkmalen gleichen, in anderen unterscheiden. Jedes einzelne Element tritt in Bezug auf die Serie als ein Cluster von Eigenschaften auf, die man in drei Gruppen teilen kann: reguläre, distinktive und latente (Heidenreich 121ff). Die regulären Merkmale weisen es als Teil der Serie aus. Die Distinktionen unterscheiden einzelne Elemente voneinander. Latente Merkmale bleiben undefiniert, sie sind zufällig verteilt, freigestellt, ohne Funktion. Aber sie können jederzeit aktiviert werden, um neue Regeln oder Distinktionen zu formulieren.
Der Erfolg einer Serie hängt daran, ob ihre die Merkmale als solche erkannt werden, ob die in ihre Objekte eingeprägte Information den Markt und die Kunden erreicht. In der Sprachwissenschaft beschreibt man die Wirksamkeit einer Distinktion als „funktionale Leistung“ (Martinet50). Ein Beispiel: der Lautgegensatz zwischen den Lauten L und R besitzt im Deutschen eine hohe funktionale Leistung, während er in Japanischen nicht verwertet wird. Die einzelne Eigenschaften – in der Sprache ein Laut, bei Objekten eine Farbe, ein Stilelement oder ein Detail – realisiert ein Muster von Distinktionen. Ihre Wirksamkeit unterliegt einem ökonomischen Verhältnis zwischen einer Tendenz zur Ausdehnung, die sich im Allumfassenden verliert und eine Konzentration aufs Detail, die zur Unkenntlichkeit führt. Offensichtlich wird diese Ökonomie der Merkmale in der praktischen Erfahrung mit Suchmaschinen: wählt man den Suchbegriff zu allgemein, so fallen zu viele Ergebnisse an. Grenzt man zu sehr ein, so bleibt die Suche gänzlich erfolglos. (Luhn83f)
Für die ökonomische Verteilung der Merkmale innerhalb der Serie gelten diese Gesetze auf zwei Ebenen, bei Konstruktion einer seriellen Identität und bei der Verteilung der distinktiven Freiheiten.

Strategien des Identischen

Sprachen und Zeichensysteme im allgemeinen sind beweglich. Ihre Struktur und Semantik unterliegt laufenden Veränderungen. Das Umfeld einer Serie ist stets so veränderlich, wie es die Produktionsweisen zulassen und wie es die Konkurrenz erfordert. Dabei operieren Identitäten und Distinktionen in zwei verschiedenen Zeitbereichen. Das Identische zielt auf relative Dauer. Es durchläuft einen Lebenszyklus: als übergreifende Distinktion der ganzen Serie zur Umwelt entworfen, entfaltet es sich als stabile Markierung, die bestehen bleibt, solange sie den Elementen der Serie innerhalb ihrer Umwelt Aufmerksamkeit und Absatz verschafft.
Die Identitäten stehen in der Regel innerhalb einer hierarchischen Ordnung. Die einzelne Serie untersteht einer Marke, die wiederum zu einem Unternehmen gehört. Dabei kann den einzelnen Stufen der Hierarchie eine ganz unterschiedliche kommunikative Funktion zukommen. Die Einheit eines Unternehmens bleibt oft im Hintergrund. Es platziert seine Marken und Serien in dem Markt, um in der Summe aller Produkte die Anteile insgesamt zu erhöhen. Die Identität der einzelnen Serie besteht in einem Cluster von Regeln, die ihr im Umfeld der vorhandenen Merkmale einen Position geben.

Innerhalb einer Welt von Informationsobjekten dient das Identische der Orientierung. Es operiert dort, wo Eigenschaften von Objekten in das Feld der Begriffe und Namen übertreten. Die Identität konstruiert damit ein Zeichen im klassischen Sinn: etwas, das für etwas steht. Ein Cluster von Merkmalen, das einem Namen zugeordnet wird. Das Identische der Serie erweist sich als ein Anker, der eine Reihe von Objekten mit einem gemeinsamen Namen versieht. Die Strategien des Identischen sind an den Namen und seinen kommunikativen Wert gebunden. Sie folgen den Wegen der Namen, weil der Mark der Dinge und Information unter Namen aufgeteilt ist.
Aber Namen sind nur eine von vielen möglichen dominanten Einheiten. Im Internet hat sich in den letzten Jahren gezeigt, wie die Kraft der Namen und Marken hinter der Macht der Verknüpfungen und Suchmaschinen zurückbleibt. Es ist durchaus denkbar, dass unter solchen Umständen für die Strategien des Identischen Wege und Netze bedeutsamer werden als statische Namen.

Strategien der Distinktion

Die Strategie des Differentiellen findet ihr Gegenüber in einem Konsumenten, der gelernt hat, Distinktionen als Glück zu erfahren (Gorz54). Im Gegensatz zu den Identitäten der Serie müssen die distinktiven Eigenschaften ihrer Elemente nicht benannt werden. Sie haben nicht den Status eines Zeichens in dem Sinn, das sie für etwas anderes stehen. Es genügt sie zu zeigen und damit Aufmerksamkeit zu erregen. Im Sinn von Roland Barthes stellen sie einen „außerlinguistischen Code“ dar (Barthes 38). Ihre Geltung ist vergänglicher als die der Identitäten. Sie wirken momentan und wenn das nächste Element der Serie erscheint, kann ein und dasselbe Merkmal seine Position schon gewechselt haben. Ihre Ziel ist nicht Bedeutung, sondern Bewegung. Sie sind wie Momentaufnahmen, die aus der festen Position serieller Identität heraus ihre Freiheitsgrade nutzen, um die Serie jeweils neu fortzusetzen.

Informationsobjekte

Wenn sich das Verhältnis von Dingen zu Daten verändert, betrifft das auch die Formen des Seriellen. Alle Arten von Objekten, seien sie materiell oder datenförmig, werden zusehends eingebunden in einen Datenstrom, der ihnen neben ihren herkömmlichen Funktionen logistische, informative und stilistische Markierungen zuweist.
Die Logistik gliedert das Objekt in den Warenverkehr ein. Es wird als Einzelstück digital erfasst und führt eine Parallelexistenz in Datenform, vom Entwurf als Datei über die Herstellung, den Vertrieb bis zum Kauf und darüber sogar hinaus. Denn wo immer möglich wird versucht, den Kreislauf der Dinge beim Käufer wieder zusammen zu führen. Die produktorientierte Logistik der Distribution findet ihr Gegenüber im Muster des Konsums und dem Profil des Konsumenten. Angebote der Form „Käufer dieses Objekts haben auch jene Objekte erworben“ erscheinen als die sichtbare Spitze einer vernetzten Datenstruktur. Verfahren des kollaborativen Filterns gruppieren Warenströme auf der Seite des Konsums. Dort erscheint der Käufer selbst als Serientäter in einer Welt von Daten und Dingen.
Informative Markierungen sind Angaben, die über ihre eigentliche Funktion des Objekts hinausgehen. Sie finden sich in der Bedienungsanleitung, in PR-Material, im Link auf eine Website als Aussagen zum Produkt, seinen Herstellern, Standorten, Erfindern, Umständen oder Gebrauchsweisen. Bruce Sterling bezeichnet Dinge, die eine Struktur solcher Daten mit sich führen, als „Spimes“: „Spimes are manufactured objekts whose informational support is so overwhelming extensive and rich that they are regarded as material instantations of an immaterial system.“(Sterling11) Dinge wie Daten verdoppeln damit ihre Position. Wie auch immer sie konsumiert oder angeeignet werden, sie besitzen neben der Zuordnung zu einem Besitzer einen Platz in einer gut informierten Eigenwelt der Objekte.
Stilistische Markierungen erscheinen demgegenüber als offensichtlich, da sie sich offen zur Schau stellen und zur Schau gestellt werden. Sie übertragen ihre Merkmale auf die Käufer. Der Stil der vielen Einzelstücke akkumuliert sich zum Stil ihres Besitzers. Hier treten die Güter in jenes Spiel über, das Bourdieu in seinem Buch „Die feinen Unterschiede“ ausführlich untersucht hat. „Man braucht sich nur einmal zu vergegenwärtigen, dass Güter sich in distinktive Zeichen verwandeln, (…) um zu erkennen, dass die Vorstellung, die Individuen und Gruppen durch ihre Eigenschaften und Praktiken unvermeidlich vermitteln, integraler Bestandteil ihre sozialen Realität ist.“(Bourdieu754)
Alle drei Markierungen, logistische, stilistische und informative, wirken sich auf die Formen des Seriellen aus. Sie vervielfachen den Schauplatz der Serie und erweitern damit ihr strategisches Moment.

Produktionsweisen

Die Geschichte des Seriellen hat ihre Parallele in der Geschichte der Produktionsweisen. Solange die Serien aus Objekten bestehen, die als Einzelstücke von Hand gemacht sind, ist die Gleichheit der Dinge eine Frage handwerklichen Geschicks. Die vollkommene Serie bleibt unter diesen Bedingungen unmöglich. Aber den Abweichungen haftet kein Makel an, denn sie sind unvermeidlich.

Seit Dinge von Maschinen produziert werden, bestehen Serien aus Elementen, die der Norm nach identisch sind. Standards und Formate verknüpfen die Produkte zur übergreifenden Kompatibilität einer normierten Produktwelt fort. Das Differentielle bildet hier einen Überschuss. Er wird als zusätzliche Information codiert und markiert Serienprodukte als etwas Besonderes, als Luxus oder als Marke.

Wenn die Produktionsvorgänge selbst programmierbar sind, verschwindet der materielle Anlass des Seriellen. Die Produktionsweisen erzwingen keine Serien mehr. Damit verändert sich die Funktion des Seriellen. Es wird von einer Notwendigkeit der Herstellung zu einer Strategie der Information. Das betrifft sowohl gewöhnliche Dinge als auch Daten und Datenobjekte. Costumization und Rapid Prototyping von Produkten und Programmen gehört ebenso zur Flexibilisierung der Serie wie dynamische Webservices, die Informationen auf den einzelnen Betrachter zuschneiden.(Vogt+Weizenegger28, O’Reilly)
Aber das vollständige Ende der Serienproduktion wird seit mehr als zwanzig Jahren immer neu verkündet. Wenn erst Maschinen intelligent und Fertigungstechniken flexibel sind, so die Prognosen, wird es mit der Produktion identischer Serien vorbei sein. Die neue Welt der singulären Einzelstücke hätte um das Jahr 2000 längst verwirklicht sein sollen. „In zwanzig Jahren wird der kreative Konsum zu den schöpferischsten Tätigkeiten gehören … Das heißt, man wird seine Kleider selber entwerfen oder an Standardmodellen Veränderungen vornehmen, so dass der Computer oder Laser die passenden Stücke zurecht schneiden kann … Man könnte sogar seine Wünsche auflisten und ein Auto daraus machen.“(Robert Anderson, Tofler281) Es ist anders gekommen. Die Vorstellung des Prosumers als Mischwesen von Produzenten und Konsumenten hat sich so rasch nicht erfüllt. Die Einzelstücke sind Ausnahmen geblieben. Serien gibt es nach wie vor. Aber es hat sich etwas verändert. Die flexible Produktion wurde nicht nach Außen zum Konsumenten hin gewendet, sondern zuerst innerhalb des Betriebs realisiert. Man ging von der starren Serie der Produktionsweise bei Ford zur einer Logistik der variablen Produktionsprozesse über, in großen Maßstab zuerst bei Toyota.(Castells181)
Das Serielle wird nicht länger von den Erfordernissen der Herstellung diktiert. Es ist eine Strategie der Information. Information schlägt um in Stil. Stil wird zum Planspiel der Logistik. Sie findet ihren Widerhall in einem Konsum, der sich von der reinen Funktionalität emanzipiert hat. „Konsumtion ist infolgedessen vor allen Dingen die Konsumtion von Information.“(Lazzarato54) Die Grundstruktur dieser Information findet sich in der Serie und ihrer Verteilung von Identität und Distinktion.

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Roland Barthes: Die Sprache der Mode, Frankfurt/Main 1985
Franco Berardi (Bifo): La fabbrica dell’infelicitá, Rom 2001
Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede, Frankfurt/Main 1982
Manuel Castells: Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft. (Das Informationszeitalter. Teil I) Opladen 2004
André Gorz: Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der Wissensökonomie, Zürich 2004
Stefan Heidenreich: Flipflop, München 2004
Naomi Klein: No Logo, London 2000
Maurizio Lazzarato: Imaterielle Arbeit. In: Thomas Atzert (Hrsg.): Umherschweifende Produzenten. Berlin 1998, S.39-65
Hans Peter Luhn: Selected Works in: Claire K.Schultz: H.P.Luhn – Pioneer of Information Science, London 1968.
André Martinet: Sprachökonomie und Lautwandel, Stuttgart 1981
Tim Oreilly: What is Web 2.0. – www.oreillynet.com/pub/a/oreilly/tim/news/2005/09/30/what-is-web-20.html?page=1
Bruce Sterling: Shaping Things, Cambridge (MA) 2005
Alvin Tofler: Die Zukunftschance. Von der Industriegesellschaft zu einer humaneren Zivilisation, München 1980
Vogt + Weizenegger: V+W Privatbuch, V+W Berlin 2006