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Freunde, Zeiger, Daten

15.01.13

Eine Debatte mit Geert Lovink in der Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung, Heft 2/12. (pdf download)
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1. Medium oder Werkzeug
Ob man das Netz als Medium oder als Werkzeug begreift, macht einen Unterschied. Ein Werkzeug hat einen Zweck zu erfüllen. Der Zweck ist vorausbestimmt, ob als Funktion oder im Dienst einer Gemeinschaft von Nutzern. Von hier aus erscheint manches am Netz dann als gut, anderes als schlecht, manches als kritikwürdig, anderes als progressiv. Von wo aus dieses Urteil sich ausspricht, wird erst einmal nicht gefragt. Nennen wir diese Herangehensweise den ›kritischen‹
Ansatz.
Implizit geht dieser Ansatz davon aus, dass es einen unabhängigen Orientierungspunkt der Kritik gibt, in der Regel unter dem Oberbegri! ›Gesellschaft‹. Geht man allerdings davon aus, dass diese ›Gesellschaft‹ nicht einfach vorhanden ist, sondern selbst erst im gemeinsamem Verhalten und durch Kommunikation entsteht, dann taucht das Medium auf der Rückseite der Analyse wieder auf. Damit läuft die ›Netz-Kritik‹ im Kreis, denn sie kritisiert das, wodurch ihre Position erst hervorgebracht wird. In diesem Fall können Medien eben nicht ›kritisch‹ betrachtete Werkzeuge sein, die sich gegen ihren Zweck sperren. Das ›Werkzeug‹ wird also nicht bloß gebraucht, sondern ›schreibt mit an unseren Gedanken‹, um eine oft zitierte Aussage einmal mehr anzuführen. Bevor wir daher irgendetwas
vom Netz fordern können, steht zuerst einmal in Frage, was es uns sagen lässt und wen es als Sprecher konstituiert. Nenne n wir diesen Ansatz ›medial‹, also vom Mittleren, vom Medium her gesehen.
Der kritische und der mediale Ansatz sind einander geradewegs entgegengesetzt, was ihren Ausgangspunkt betrifft. Der eine betrachtet das Medium im Hinblick auf den Zweck, den es in einer Gesellschaft ausübt. Der andere sieht Gesellschaft erst als Ergebnis eines medialen Prozesses. Allerdings stehen beide Ansätze
einander nicht unversöhnlich gegenüber, denn in der Kritik kann das Medium und im Medialen die Kritik wieder aufgenommen werden. Daraus ergeben sich jedoch recht unterschiedliche Konsequenzen, unter anderem, was politische Forderungen betrifft.
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2. Netze und Schichten

Das Netz tritt uns als weltweites Gewebe hinter Bildern und Texten entgegen. Hinter dieser Ober” äche liegt ein materieller – also durch Signale im elektromagnetischen Feld oder Lichtpulse verbundener – Graph von Knoten und Links.
Seine Wege verlaufen zuerst einmal nicht von Mensch zu Mensch, sondern zwischen Rechnern. Daten werden weitergereicht, von Prozessor zu Prozessor, von Arbeitsspeicher zu Arbeitsspeicher, von Client zu Server und zurück. Manche dieser Daten, aber eben längst nicht alle, erreichen unseren Bildschirm. Nur in der Projektion einer Landkarte zeigt das Netz die Form eines weltumspannenden Gewebes. Aber die Karte stellt eine Ausdehnung dar, die im Netz nichts gilt. Denn im Grunde interessiert es sich nicht für die Welt und ihre Form.
Von der Seite her betrachtet, in seiner geologischen Tiefe sozusagen, hat das Netz eine hierarchische Anordnung. Schicht liegt über Schicht, getrennt und vermittelt durch Protokolle und Formate.
Die Geschichte des Internets kann als ein Durchschreiten der verschiedenen Schichten und Formate beschrieben werden. Jede neue Schicht bringt einen neuen Akteur mit sich. Durch das ihr zugeordnete Protokoll ernennt sie die jeweils neue Kontrollinstanz, gerade so wie auf der untersten Schicht festgelegt wird, dass eine bestimmte Spannung einem binären Wert entspricht. Das kontinuierliche Spannungsspektrum wird in Nullen und Einsen zerteilt. Statt der reinen Elektrizität
regiert ein Code. Man darf diesen Aufbau in Schichten nicht ontologisieren. Denn er bedeutet gerade nicht, dass etwa das Wesen des Netzes in den Tiefen seiner Schaltkreise zu finden wäre. Sondern er sagt im Gegenteil, dass das Netz all die verschiedenen Schichten beinhaltet und überschreitet, ohne sie dadurch zu verlieren. Die Protokolle werkeln im Untergrund weiter, und hin und wieder zeigen sie sich sogar an der Ober” äche in ihren Kürzeln wie TCP/IP oder
HTTP.
Jenseits der vernetzten Schichten wartet der Mensch auf seine Daten, könnte man sagen. Aber er wartet nicht unberührt. Denn die Schichten machen nicht vor ihm halt, sondern weisen ihm einen Ort zu, von dem aus er agieren kann. Sie regeln den Input, bevor es ihn gibt.

(der Rest des Textes hier als pdf)